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David L. Ulin - Die Frau die schrieDavid L. Ulin - Die Frau, die schrie

(Polar Verlag)

 

- verkopftes, doppelsinniges Psychogramm mit heiklem Abgang -

 

Los Angeles, Kalifornien, im gegenwärtigen Hochsommer. Ein etwa 40 Jahre alter, geschiedener, arbeitsloser und irgendwo in den Gezeiten des Lebens hängengebliebener Distanzmensch, sinniert trostlos und resigniert über sein Leben. Der namenlose Ich-Erzähler ist in einer langsam vor sich hin köchelnden Depression gefangen, zehrt von seinem Ersparten und haust alleine in einem Bungalow in Hollywood, direkt gegenüber dem von Corrina; der Frau, die schrie. Gedanken fressen sich durch seinen tristen Alltag. Katatonische Zustände, ausgelöst durch psychosoziale Belastungen und bipolare Störungen, sind zum Ausfechten da. "Die Frau, die schrie", ist eine Art Innensicht, Selbstreflexion oder Selbstfindungstrip, in der der Erzähler über den Ausgang seiner Scheidung nachdenkt, über sein erstes Aufeinandertreffen mit Corrina, die an seine Tür klopft und Einlass begehrt. Ihr Ausspruch, dass sie die zweite Frau ihres kürzlich verstorbenen Vaters umbringen oder zumindest umbringen lassen könnte, die unbestimmte Zuneigung des Berichterstatters zu ihr und sein vergeblicher Versuch einfach nur sein Leben weiterzuleben. Doch Corrina bittet ihren Nachbarn darum, zu eruieren, was ihre Schwiegermutter Sylvia Glenn hinsichtlich ihres Erbes vorhat. Von Neugier gepackt, verleitet ihn Corrina, von der er eigentlich nicht viel mehr weiß, als ihren Vornamen, zu einem längst überfällig geglaubten Ausbruch aus den Resten seines kümmerlichen Daseins, welchen er noch bitterbös bereuen wird. Denn auch zur übermächtigen Persönlichkeit von Sylvia, ihren grazilen Bewegungen und ihrem zeitlos schönen Anblick fühlt sich Ulins Hauptfigur abstruser Weise hingezogen. Doch das ist gar nicht der eigentliche Knackpunkt der Geschichte. Es geht vielmehr darum, dass Corrinas Nachbar allmählich seelisch und moralisch an der Schuld, die er auf sich geladen hat und dem selbstauferlegten Druck seiner Handlungen zugrunde zu gehen droht.

 

„Sommer in Hollywood, wo alles anschwillt wie eine Infektion, bis sie reif ist, aufplatzt und die Krankheit verbreitet.“ Zitat S. 206

 

"Die Frau, die schrie" ist ein 224 Seiten umsäumendes, verkopftes, doppelsinniges Psychogramm, das im Präsens und durchgehend in der 1. Person Singular verfasst wurde. Es ist eine gedankenverlorene, kaum greifbare und schleppende Novelle, im Stile der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, mit kurzer Halbwertszeit. Der 63-jährige, in New York geborene Schriftsteller David L. Ulin, der heute in Los Angeles lebt, nutzt für seinen Hauptprotagonisten eine durchaus anspruchsvolle Art der Altherren-Rhetorik, wie ein in die Jahre gekommener Kriegsveteran, der an PTBS leidet. In einer feuchtwarmen, Whisky-aromatisierten Atmosphäre verliert sich seine namenlose Romanfigur in ihrem pseudophilosophischen Gedankengut. Der Berichtende beobachtet, erschließt Zusammenhänge, verliert sich in seinen traumgebieterischen und selbstzerstörerischen Gedankenwelten, verhält sich vielleicht deswegen oftmals unangebracht und trifft dabei eine Reihe fataler, irrationaler und desaströser Fehlentscheidungen. Er ist sich der Schuld, die er auf sich geladen hat nur zum Teil bewusst, spürt sich selbst aber selbst nicht mehr und kehrt sie daher gewohnheitsmäßig unter seinen soziopathischen Teppich. Er ertränkt seine Gedanken, seine Erinnerungen in einer Flut aus Whisky und findet Parallelen zu seinen Lebenslinien in der Musik des vergangenen Jahrhunderts. Bis er sich ehrerbietig unter ein Mühlrad aus bipolarer Störung, Nihilismus, Verunsicherung, Hilflosigkeit, Widersprüchen, Selbstzweifeln, Trugbildern, verwaschenen Schuldgefühlen, Intrigen und Selbstbetrug begibt, das bis zum Äußersten führt und ihn gnadenlos zu zermalmen droht. Die unterschiedlichen Parameter und Variablen sind letztlich auch sein Untergang, denn sie sind viel zu unkalkulierbar für den Vortragenden, als das er sich mit ihnen messen könnte. Als er dies wirklich für sich verinnerlicht hat, ist es längst zu spät für seine manisch-anarchistische Revolte. Die Geschichte, die 2023 im amerikanischen Original unter dem Titel "Thirteen Question Method" (nach einem Songtitel von Chuck Berry) erschien, wirkt in ihrer Gesamtbetrachtung langatmig, nimmt in ihrem weiteren Verlauf immer groteskere Züge an und man fragt sich als Leser unweigerlich: Was treibt der da eigentlich? Letztlich sind es jedoch die Dinge, die der Professor für Englisch an der University of Southern California David L. Ulin unausgesprochen oder vage lässt, die man erst nach und nach entdeckt, die den tatsächlichen Reiz an "Die Frau, die schrie" ausmachen. Und wie zum Schluss der Nebel von den eigenen geistigen Schleiern fällt...einfach herrlich.

 

(Janko)

 

https://davidulin.com

 

David L. Ulin - Die Frau, die schrie

Polar Verlag

Kriminalroman/Thriller

ISBN: 978-3-910918-14-6

224 Seiten

Gebunden mit Schutzumschlag

Originaltitel: Thirteen Question Method (2023)

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Bielfeldt

Erscheinungstermin: 13.01.2025

EUR 24,00 Euro [DE] inkl. MwSt.

 

"Die Frau, die schrie" beim Polar Verlag: https://polar-verlag.de/my-product/david-l-ulin-die-frau-die-schrie/


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