Adam Nevill - Cunning Folk
(Buchheim Verlag / Ritual Unlimited)
- mystischer, atmosphärischer und zerebraler Folk Horror -
Es ist bestimmt schon 20 Jahre her, dass ich mir zuletzt einen Roman im englischen Original vorgenommen habe. Und da ich kurz nach meinem Interview mit dem britischen Schriftsteller Adam L. G. Nevill (vom 17.01.2024) unter anderem die gebundene und signierte Ausgabe zu "Cunning Folk", aus dessen Ritual Unlimited Vertrieb erworben hatte, drängte es sich im Einklang mit der kürzlich erschienenen, deutschen Erstveröffentlichung des Buchheim Verlags auf, das Original zusammen mit der deutschen Übersetzung mental zu absorbieren. Während die gebundene, englische Originalausgabe aus dem Jahre 2021 (hier 2. Auflage aus dem Jahre 2023) über eine mega geniale "anti-rutsch" Haptik verfügt, ist der mittlerweile 28. Band der Cemetery Dance Germany Reihe, mit Illustrationen des paraguayischen Künstlers Samuel Araya ausgestattet, mit dem Nevill bereits seit längerem zusammenarbeitet. Ein "easy-going" ist die Originalausgabe zu "Cunning Folk", aufgrund der außergewöhnlich einnehmenden, anspruchsvollen und blumig ausstaffierten Sprache, des 1969 in Birmingham geborenen Autors, jedoch nicht. Nevill ist ein empathischer Erzähler, der viel Gewicht auf greifbare Umschreibung der Geschehnisse, sowie der Gefühle, Stimmungen, Eindrücke und Intentionen seiner Protagonisten legt. Das macht der britische Kajak-Fan mit einem pointierten Enthusiasmus, der eine tiefgreifende, mystische und stetig ansteigende Dramaturgie in seine komplexen Folk- und Haunted House-Horror-Romane einfließen lässt. Ein Auszug aus meiner Einleitung zum Interview mit dem Briten verdeutlicht dies ungemein: "Adam Nevills, von übernatürlichem Zauber und Wahnsinn umgebene Folk-Horror-Romane sind grazil aufgebaute Kleinode, die den Geist anregen und dabei viel Platz für eigene Auffassungen und Interpretationen schaffen. Durch seinen leicht verträumt anmutenden Schreibstil beflügeln selbige, nicht zuletzt auf metaphysischer Ebene, sämtliche Variablen mentaler Zustände. Der Brite ist ein literarischer Illusionist, ein Verführer der Sinne und ein Täuscher des Geistes, der dem Horror-Genre seinen ureigenen Stempel aufdrückt hat." Die schöpferische Mannigfaltigkeit seiner Beschreibungen und seine Gabe die auditiven, olfaktorischen, gustatorischen, visuellen und kinästhetischen Wahrnehmungen seiner Romanfiguren in maßgeschneiderte Wortgewänder zu hüllen, sind wahre Kunst an der Literatur. Gerade in den vermeintlich ruhigeren Passagen, in denen sich die Action seiner Werke in Grenzen hält, ruft Nevill mysteriöse, verstörende und beklemmende Bilder in den Köpfen seiner Leser hervor, die der Ausnahmeschriftsteller in eine schauderhafte Essenz aus Melodramatik, Leidenschaft, Tragödien, Ängsten, Wünschen, Hoffen und Bangen einzubetten weiß.
Tom, seine Frau Fiona, ihre kleine Tochter Gracey, samt Spanielwelpe Archie, sind frische Besitzer eines Eigenheims. Das stark renovierungs- und reparaturbedürftige, um nicht zu sagen verwahrloste Haus in dem fiktiven Örtchen Eadric, in Englands Südwesten, hat schon bessere Zeiten gesehen. Die schrecklichen Vorkommnisse, die zum Ableben des Vorbesitzers, wie auch zum erschwinglichen Kaufpreis ihres Anwesens führten, haben Tom und Fiona der vierjährigen Gracey geflissentlich vorenthalten. Keiner der ehemaligen Besitzer ist lange geblieben und die Frage nach dem "Warum", lässt nicht allzu lange auf sich warten. Als sich Tom an die Renovierung und Fiona an die Einrichtung der Räumlichkeiten des alten Gemäuers machen, bemerken beide unabhängig voneinander, dass sich ihre zwergenhaften Nachbarn mit ihren albernen Frisuren sonderbar verhalten. Sie bemerken seltsame Interaktionen der Dame des Hauses mit Besuchern, die ständig Toms und Fionas Einfahrt zuparken. Das direkt an hier Haus gebaute Anwesen von Magi und Medea Moot, die sich offensichtlich in ihren frühen 70ern befinden, ist eine Augenweide viktorianischer Baukunst, ohne jeglichen Renovierungsstau. Dort drüben scheint sogar der Garten grüner, lebendiger und sonniger, als ihr eigener. Ihr neues Zuhause hingegen, eine einzige Katastrophe. Tom, Fiona und Gracey bekommen Albträume. Geplagt von Geldsorgen und einem enormen Renovierungsaufwand erfahren sie mentale Veränderungen. Eine fatale Symbiose aus Unwohlsein, Erschöpfung, Katatonie, Beklemmung, Desorientierung, Halluzinationen, Schwindelgefühlen, Angst und Schrecken, welche die junge Familie allmählich in den Wahnsinn zu treiben scheint, kriecht tief in ihre Imagination. Tom wird über alle Maßen von dem immer groteskeren Gebaren der Moots eingenommen. Verbale Auseinandersetzungen mit Fiona sind vorprogrammiert. Die Familie droht an der Situation zu zerbrechen. Als Tom, aufgrund des übergriffigen und okkulten Treibens der Nachbarn allmählich durchdreht und einen Streit mit ihnen vom Zaun bricht, ist er sich nicht im Geringsten darüber im Klaren, mit welch gefährlicher Klientel er sich da anlegt.
Adam Nevill, der heute mit Frau und Tochter in Devon lebt, baut auf ein gemächliches Heranführen seiner Leserschaft an die schaurig-mysteriöse Horror-Kulisse. Das erzeugt cinematische Abfolgen auf der geistigen Leinwand, die im Falle des skurrilen Paares Magi und Medea Moot, ihres vitalen und farbenprächtigen Gartens, des angrenzenden Waldes, in dem sich surreale Dinge abspielen, sowie der vielen psychedelischen Suggestionen, Indoktrinationen und Manipulationen, immer mal wieder an Komponenten aus Lewis Carrolls "Alice im Wunderland", Stephen Kings "Friedhof der Kuscheltiere" oder Thomas Olde Heuvelts "November" erinnern. Nur eben wesentlich böser. Der psychologisch und rhetorisch bewanderte Jongleur spielt mit dem Unbekannten, dem Ekel ekelerregenden, dem Übersinnlichen und dem Unerklärlichen, welche den Verstand seiner Protagonisten und Leser infiltrieren und selbige immer mehr in Beschlag nehmen. Dieser zerebrale Horror lässt durchaus ein wenig auf sich warten, steigert sich aber ins Unermessliche und wird so richtig schön fies und böse! Der in England und Neuseeland aufgewachsene Virtuose lässt dabei Schemen aus Okkultismus, Hexerei, Zauberei, sowie schwarzer Magie in seine Texte einfließen und beschwört eine hinterlistige, gar böswillige Stimmung herauf. Ein wirklich geniales Konzept, mit einer nachgerade haptischen Atmosphäre, eingepackt in eine finstere und mächtige Vision, wie geschaffen für die Leinwand! Mit der Übersetzung von Christian Jentzsch bin ich allerdings nicht wirklich zufrieden. Nevills Sprache ist mir viel zu steif, überhastet, holprig und Stumpf übertragen. Wörter wurden vermeidbar fehlerhaft übersetzt (bspw. „two tears“ = zwei Risse; hooded = geblendet etc.) und ganze Halbsätze ausgeklammert. Wirklich ärgerlich. Nicht, dass ich es besser könnte, aber das geht sicherlich wesentlich geschmeidiger. Was war ich an dieser Stelle froh, dass ich das Original zur Hand hatte!
(Janko)
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Adam Nevill - Cunning Folk
Buchheim Verlag
Folk Horror
Buchreihe: CEMETERY DANCE GERMANY - Band 28
ISBN: Privatdruck ohne ISBN
384 Seiten
Gebundene Ausgabe mit Lesebändchen; Amerikanisches Buchformat 23,5 x 16,5 cm
Originaltitel: Cunning Folk (2021)
Aus dem Englischen von Christian Jentzsch
signiert von Adam Nevill und Illustrator Samuel Araya
Illustrator(en): Samuel Araya
Limitierung: 999 Stück (handnummeriert)
Erscheinungstermin: 20.12.2024
Vorbestellbar zum Subskriptionspreis von EUR 39,99 Euro [DE] inkl. MwSt. / ab Erscheinungstermin: EUR 44,99 Euro [DE] inkl. MwSt.
"Cunning Folk" beim Buchheim Verlag: https://www.buchheim-verlag.de/adam-nevill-cunning-folk.html?idU=10