Riffing For Tolerance 2022 / Köln
Riffing For Tolerance, Club Volta/Köln 19.11.2022
Dust Bolt, Stallion, Pripjat, Space Chaser, Fateful Finality, Bloodspot
Heutzutage betonen viele Bands, dass sie unpolitisch seien und dass es nur um die Musik geht. Das ist zum Teil durchaus zu verstehen. Wenn man Stellung bezieht, wird einem besonders in den sozialen Medien oft das Wort im Mund umgedreht, weil Texte nicht zu Ende gelesen werden oder eben völlig falsch interpretiert werden. Schön, dass es eben auch Bands gibt, für die ihre Texte nicht nur Phrasen sind, sondern denen man das Engagement auch abnimmt. Dass hier sogar Taten folgen, sieht man an dem heutigen Abend. Pripjat, bzw. ihr Gitarrist Eugen, haben diesen Abend hier auf die Beine gestellt, um Geld für wohltätige Zwecke zu Gunsten der Ukraine zu sammeln. Das Line-Up aus sechs Thrash Bands der neuen Generation ist zum Zungeschnalzen, mittlerweile aber leider kein Garant für eine ausverkaufte Hütte. Die Pandemie ist noch nicht ganz überstanden und viele Leute sind bei Club Konzerten noch vorsichtig, was den Kartenvorverkauf betrifft. Das man trotzdem vor dem Konzert schon ein „Ausverkauft“ verkünden konnte, ist durchaus eine Überraschung. Dazu am Ende des Konzertberichtes noch ein kurzes Interview mit Veranstalter Eugen. Nun aber zum Konzert. Auch wenn alle Bands unter dem Thrash Metal Banner zusammengefasst werden können, konnte man hier doch sehen, wie weit gefächert der Begriff „Thrash“ zu interpretieren ist.
BLOODSPOT aus Limburg dürften heute als Erste ran. Die Hessen heute leicht dezimiert, da Gitarrist Howdie verhindert war. Das hörte man heute am Sound nur wenig, zudem die Band auch eher auf Bleifuß setzte und schleppende Nummern außen vorließ. Auch wenn BLOODSPOT eher für eine moderne Version des Thrash stehen, hatte die Band kein Problem hier ordentlich abzuräumen. Gerade Sänger Pete ist ein souveräner und extrem agiler Frontmann! Der massive Sound und die tight heruntergethrashten Songs taten ihr übrigens. Ich sage nur „Death By Dinosaur“ und ihr wisst Bescheid! Unbedingt das letzte Album „The Cannibal Instinct“ anchecken!
FATEFUL FINALITY sprangen nur einen Tag vor dem Festival für die ausgefallenen TRAITOR ein, bei denen Drummer und Sänger Andi Mozer krankheitsbedingt ausgefallen war. Mit ihrem harten Thrash, der auch Melodien nicht vermissen lässt, konnten die Jungs aus dem Stuttgarter Raum ordentlich punkten. Etliche Passagen laden zum heftigen Bangen ein und vor allem das sympathische Auftreten der Band dürfte der Band einige neue Fans eingebracht haben. Die aufgeteilten Vocals der beiden Gitarristen kommen ebenfalls sehr gut rüber und sorgen für Abwechslung. Titel wie „Live Admit Warfare“ und „When Peace Is The Demand“ vom neuen Album passen leider perfekt zum heutigen Abend und sind aktuell wie selten. Großartige Show!
Auch SPACE CHASER waren nicht mit kompletter Besetzung angereist. Der etatmäßige Drummer Matthias wurde durch eine nicht minder versierte Aushilfe ersetzt. Mittlerweile war die Halle noch ein wenig voller als bei den ersten beiden Bands. Auch wenn es etwas melodischer wurde, luden Songs wie „Juggernaut“ die ersten Stagediver auf die Bühne ein. Und ich meine richtiges Stagediven und nicht Crowdsurfen für Weicheier! Der schnelle und melodische Thrash wird selten so souverän und 80er affin dargeboten, wie von SPACE CHASER. Die Jungs auf der Bühne sehen so authentisch nach den 80ern aus, wie direkt aus der Zeit hergebeamt. Große Klasse!
Bei PRIPJAT wurde es richtig voll vor der Bühne. Die Lokalmatadoren hatten seit Beginn der Pandemie nicht mehr in Köln gespielt und einen klaren Heimvorteil. Da die beiden Gitarristen Eugen und Kirill ihre Wurzeln in der Ukraine haben, waren hier natürlich viele Emotionen im Spiel. Das übertrug sich auch sofort auf das Publikum, das entsprechend steil ging und die Band weiter anspornte. Was aber zum Beispiel Drummer Yannik hier an seinem Drumkit fabrizierte war nicht von dieser Welt. Ich habe selten so harte und tighte Blastbeats gehört. Das Material von PRIPJAT pendelt lässig von Slayer-mäßigen Riffs bis zu völlig hektischen Passagen, lassen aber auch ruhige und melodische Stellen nicht aus. Das an zweiter Stelle rausgehauene „Nuclear Chainsaw“ gehört für mich zum Beispiel zu den geilsten fast-forward Thrashern der Neuzeit. Ein Song wie „Brick By Brick“ zeigt aber, dass die Jungs auch anders können. Definitiv die intensivste Shows des Abends! Dass eine sehr emotionale Ansage zum Thema des Abends von Gitarrist Eugen hier nicht fehlen dürfte, war klar.
STALLION waren die einzige Band, die nicht dem Thrash zuzuschreiben ist. Sie haben allerdings genügend speedige Songs, um hier mithalten zu können, scheuen sich auch nicht mit „Die With Me“ ihre Halbballade zum Besten zu geben. Vor der Bühne wurde es nach Pripjat zwar etwas lichter, aber die Stimmung blieb aber weiterhin extrem gut. Dafür ist das Songmaterial von STALLION einfach zu gut. Egal ob das speedige Nummern wir „No Mercy“, rockiges wie „All In“ oder einfach Metal wie „Rise And Ride“ ist. Fontmann Pauly hat die Fans sofort in der Hand, hatte heute aber scheinbar mit einigen Passagen kleine Probleme. Das reicht aber noch nicht mal für Abzüge in der B-Note. „Kill Fascists“ (heute nur einmal gespielt) darf natürlich aber ebenso wenig fehlen, wie „Canadian Steele“.
DUST BOLT hatten wie Space Chaser und Stallion weit über 500km hinter sich zu bringen. Wie die anderen beiden Bands kamen sie erst an, als das Festival schon lief. Von Müdigkeit oder eingerosteten Gelenken von der langen Fahrt war auch bei DUST BOLT nichts zu sehen. Die Band legte energisch wie gewohnt los. Auch wenn man die letzten Wochen damit zugebracht hat, ein neues Album aufzunehmen, sind die Jungs um Fronter und Haarmonster Lenny Bruce bestens eingespielt. Allerdings Lenny hat die Haare ein ganzes Stück gekürzt und der neue Basser Tom übernimmt in Sachen Haarlänge jetzt die Pole-Position. Aber genug mit Frisuren-Gossip. DUST BOLT sind live ebenso eine Macht, wie alle anderen Bands vor ihnen. Jede Band hat ihre eigenen Qualitäten, die sie live in Szene zu setzen wissen. Von wegen Thrash sei eintönig und/oder eine Sackgasse. „The Fouth Strike“ oder „Bloody Rain“ sind großartige Songs und vor allem der Titel von „Rhythm To My Madness“ ist Programm! Ein Abriss vor dem Herrn, dieser Song! Ehrensache, das zum Ende des Abends noch einmal alle Bands die Bühne samt ukrainischer Fahne entern, was zu einem großen, emotionalen Finale führt.
An dieser Stelle noch einmal großes Lob an Eugen und alle Mithelfenden/Mitverantwortlichen an dieser Veranstaltung! Trotz ausverkaufter Halle war es nie überfüllt oder kam zu extremen Drängeleien. Die Besucher waren alle entspannt, genossen den Abend mit sechs tollen Bands, feierten und machten sich fleißig über das Merch her. Auch hier ging das spezielle Festival Shirt weg wie warme Semmeln und z.B. Bloodspot boten Restposten ihres Merchs als weitere Spende für die Ukraine zum frei wählbaren Preis an. Auch an der sehr gut frequentierten Theke kam es nie zu großen Wartezeiten und das Personal war extrem fix unterwegs. Somit war es ein fantastischer Abend für alle.
Interview mit dem Hauptveranstalter Eugen Lyubavskyy, Gitarrist von Pripjat:
Hi Eugen, erst einmal die Frage, wie schwer war es, dieses Festival auf die Beine zu stellen? Zum einen war durch die Pandemie schwer abzuschätzen, ob das im Herbst so durchführbar sein wird. Auf der anderen Seite muss ja auch ein Club gefunden werden, der da mitzieht. Nur mit einer guten Idee ist es ja nicht getan.
Es war einerseits erstaunlich leicht. Andererseits aber auch sehr fordernd. Ich habe früher mal diverse Gigs für Pripjat organisiert, aber nichts in dieser Größenordnung. Entsprechend bin ich einfach mit viel Positivität und Entschlossenheit da ran gegangen und habe mir viel Hilfe geholt. Ohne die Excel Tabelle von Martin (Moshroom Events) hätte das Festival zum Beispiel nie stattgefunden. :D
Den Club habe ich fast ein Jahr im Voraus buchen müssen, da durch den Corona-Rückstau vorher nichts frei war. Ich kannte die Antonia vom Club Volta aber lose und wusste, dass der Club bei ihr in sehr guten und kümmernden Händen ist. Und so war es auch – einen besseren Gastgeber hätte man sich nicht wünschen können. Sie haben uns sogar Teile des Personals gespendet. Allgemein war die Hilfsbereitschaft an jeder Ecke überwältigend.
Jeder dachte, dass sowie wieder Konzerte erlaubt sind, rennen die Leute wie ausgehungert in die Clubs. Das ist aber fast nur bei den großen, kommerziellen Events passiert. Clubshows und Tourneen im Underground wurden reihenweise abgesagt oder gingen nur hart am Rand des Finanzierbaren über die Bühne. Das macht die Planung für so ein Event noch schwieriger. Ihr konntet aber ein „Ausverkauft“ über die Tür hängen. Lief der Vorverkauf gleich richtig gut, oder dauerte es, bis abzusehen war, dass die Veranstaltung stattfindet?
Es lief von Anfang an gut. Dass wir aber schon im Vorfeld ausverkauft sein werden, habe ich nicht gedacht. Gleichzeitig habe ich bewusst darauf gesetzt, nur Top-Acts zu buchen und sie auch (bei verminderter Gage) zu bezahlen. Man bekommt als Band recht oft Benefiz-Anfragen. Aber ich bin dagegen, Künstler*innen für Bier und Nudeln mit Soße spielen zu lassen. Der Abend hat gezeigt, dass durchaus beides geht: Ein Top Line-Up, Geld für die Bands und genug Erlös für den guten Zweck.
Qualität setzt sich eben durch. Und auf der Bühne stand meiner Meinung nach die Creme de la Creme des deutschen Thrash & Speed Nachwuchses. Außerdem bin ich mit jeder Band persönlich befreundet. Sie haben auch alle mitgezogen und viel mehr Werbung gemacht als man es sonst für einen Gig tun würde. Nur so konnte das so gut klappen. Es zeigt aber auch, dass man ohne große Booking-Agenturen oder dem Logo eines Energydrink-Herstellers auf der Stirn so etwas sehr erfolgreich durchziehen kann.
Der kurzfristige Ausfall von Traitor war natürlich extrem schade. Innerhalb von einem Tag mit Fateful Finality einen Ersatz zu finden war allerdings stark. Stand auch zur Debatte, dass nur mit fünf Bands durchzuziehen?
Alles stand zur Debatte :D. Der Freitag war für mich sehr hart, denn es gab noch viel zu tun, ich musste arbeiten und gleichzeitig einen Ersatz suchen. Ich habe auch gut 10 Absagen bekommen, bis die FF-Jungs mir zugesagt haben. Tatsächlich hatte ich sie für das Line-Up `eh in der engeren Auswahl gehabt. Deswegen hat es perfekt gepasst und sie haben auch mega abgeliefert.
Auch Stallion waren bis zum Festivaltag eine Zitterpartie, weil ein Musiker Corona-Kontakt hatte. Zum Glück waren alle Tests aber negativ und sie konnten spielen. So ist es heutzutage nun mal. Corona is real as fuck.
Wie lief es generell? Zumindest in Sachen Stimmung und Zulauf war es ein voller Erfolg. Der Club war trotz „ausverkauft“ gut organisiert und nicht total überfüllt. Kannst du schon abschätzen, was an Spenden zusammengekommen ist?
Ich möchte noch keine genauen Zahlen nennen, da es noch einige Rechnungen zu bezahlen gilt und das Steuerliche geklärt werden muss. Da es mein erstes Mal in dieser Größenordnung ist, habe ich noch viel zu lernen. Aber wir sind ziemlich sicher bei über 6.000 € Spendensumme. Hier muss ich ein dickes Shoutout an den Trafostation61 e.V. geben, die uns die komplette Ladenmiete gespendet haben – eine vierstellige Summe. Ihr seid der Shit!
Was die Stimmung angeht – puh. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens. Hauptveranstalter UND Musiker am selben Abend zu sein, ist immer recht krass. Aber als ich vor Ort ankam, war ich baff. Alle haben gemacht, was sie sollten…alles lief. Es gab aus meiner Perspektive keinen nennenswerten Fehler. Mit Bands, Crew und Publikum hatten wir gut 500 Leute im Haus und alle waren euphorisch. Das Feedback ist unglaublich. Schwer in Worte zu fassen, was es mir als gebürtigen Ukrainer, Veranstalter, Fan und Musiker bedeutet hat. Ich bekomme jetzt noch beim Schreiben Gänsehaut.
Wenn du noch was loswerden willst, dass ich eben nicht auf dem Schirm habe. Nur zu….
Wir werden von diesem Abend eine Live-DVD veröffentlichen, auch wenn es noch etwas dauern wird. Danke an Cologne Custom Studios, die da mit acht Mann aufgeschlagen sind, um den ganzen Abend zu filmen. Einen Underground-Abend in dieser Qualität festgehalten zu bekommen, ist eine große Ausnahme, die ich wahnsinnig schätze.
Ansonsten – seht nicht weg. Täglich sterben Freunde in der Ukraine, während sie ihre Familien vor einem faschistischen Aggressor verteidigen, der jedes bekannte Kriegsverbrechen systematisch begangen hat. Wir werden siegen!
(Schnuller)
Die Spenden des Konzertes gehen an:
https://www.betterplace.org/en/projects/107938-stop-blood-in-ukraine
Vielen lieben Dank für die Bilder gehen an JacQue Photography:
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