Der ehemalige Professor für Wirtschaftspsychologie, frühere Vice President im Human Resources Bereich eines Medienkonzerns, Management-Berater, führender Experte für Positive Psychologie, Buchautor und Leiter des Ministerium für Schwermetall Nico Rose ist in erster Linie eins: Ein absolut treuer und hingebungsvoller Fan des gepflegten Heavy Metal! In seinem neuesten Werk "Hard, Heavy & Happy – Heavy Metal und die Kunst des guten Lebens" geht er auf die psychologische und emotionale Wirkung des Heavy Metal, auf die Anhängerschaft des wohl härtesten und lautesten Musikgenres der Welt ein. Zu diesem Zweck hat Nico Rose unter anderem eine Umfrage unter ca. 6.000 Metalfans gestartet, Interviews mit Fans, Musikern, Youtubern, Autoren, Vereinen, Kunsthistorikern und Supportern der Szene geführt und der Psyche des Homo metallicus ordentlich auf den Zahn gefühlt. Herausgekommen ist eine interessante Abhandlung darüber, wie und in welcher Form sich diese breitgefächerte Art der musikalischen Unterhaltung auf uns, unseren Alltag, unsere Psyche, unser Wohlbefinden und unser Umfeld auswirkt. Im Rahmen einer Zoom-Konferenz, in der wir über eine Stunde plauderten, brachte mich der gut gelaunte und mega sympathische Autor Nico Rose auf den neuesten Stand rund um "Hard, Heavy & Happy", die Entstehungsgeschichte des Buchs, seine kürzlich abgehaltene Lesung auf dem Wacken Festival, sowie die Psychologie des Homo metallicus im Allgemeinen. Ich habe das Interview bewusst ungekürzt belassen und mir beim Abtippen beinahe die Finger heiß geschrieben...!
TT: Hey Nico, du kommst ja jetzt mehr oder weniger frisch vom Wacken. Ist ja schon ein bisschen über eine Woche her. Du warst aber nicht nur privat und zum Vergnügen dort, sondern auch um dein neues Buch "Hard, Heavy & Happy" zu promoten und daraus zu lesen.
Nico Rose: Ja, ich hatte am Samstagnachmittag, also am letzten Tag des Festivals, eine Lesung auf einer von den kleineren Bühnen. Das war ziemlich cool. Es waren mehrere Hundert Leute da. Die saßen zwar ein bisschen weiter weg auf Sitzbänken, aber da ist erst mal da. Anschließend hatten wir noch eine Signing-Session am Stand von Metality e.V. organisiert. Ich hatte vorher eine dreiviertel Stunde Rüstzeit. Um 14:45 Uhr sollte es anfangen. Ab 14:00 Uhr durfte ich auf die Bühne. Aber ich hatte auch nicht viel mehr als ein Roll-up (Banner) und einmal kurz das Mikro gecheckt...fertig. Das war schon krass, weil vorher schon die Leute mit ihren Büchern Schlange standen. Nachdem ich gelesen hatte, standen sie wieder Schlange. Später, am Stand von Metality haben sie dann auch noch mal eine dreiviertel Stunde lang Schlange gestanden. Das war echt so ein kleiner Rockstar Moment. Das ist krass, dass das mit einem Buch funktioniert. Zwischendurch habe ich noch das ein oder andere Interview gegeben, teilweise mit kleinen Fanzines oder Lokalradios, aber auch mit der Deutschen Welle. So richtig gefeiert habe ich eigentlich nur den Freitag, weil ich da keine weiteren Termine hatte. Da hab ich mir dann den ganzen Tag Bands gegeben. Am Freitag war’s so eine gemischte Tüte. Weil ich am Samstag den ganzen Tag unterwegs war und erst mal runterkommen musste, habe ich mir dann lediglich um 23:00 Uhr noch DEATH ANGEL reingepfiffen. Das war grandios! Ich hätte gerne mehr Bands gesehen, aber so ist das eben. Du kannst dich ja nicht aufteilen.
TT: Ja, ich kenn` das ja. Ich war ja auch schon auf dem Wacken. Natürlich auch auf anderen Festivals. Da bist du ja ständig am hin und her rennen. Oder am gucken, was du streichen musst, weil gleichzeitig zwei Bands spielen, die du sehen willst.
Nico Rose: Ich hatte einen Fitness-Tracker dabei und in den 2 ½ Tagen, die es effektiv waren, habe ich glaube ich 53 Kilometer abgerissen. Die können das irgendwann mal als Fitnessprogramm verkaufen.
TT: Das ist ja ein richtiger Marathon. Mehr sogar, als ein Marathon. Gab’s denn irgendwelche Vorkommnisse oder irgendetwas, das dir von diesem Wacken Festival besonders in Erinnerung geblieben ist? Du warst ja nicht das erste Mal dort...
Nico Rose: Na ja gut, jetzt einfach wirklich mal ein Teil vom Programm zu sein. Und ganz offiziell selbst auf dem Billing zu stehen. Das ist natürlich schon eine interessante Nummer. Ich hab beim letzten Mal, also 2019, auch schon ein bisschen was gemacht. Und zwar gab’s damals die sogenannte Wacken Future Factory. Im Grunde hatten die an zwei Tagen, etwas weiter hinten Richtung Zeltplatz, auch noch mal ein kleines Zelt aufgebaut und da gab’s eine Serie von Workshops, als eine Art Unconference. Das heißt, du kannst einfach dazu kommen, wenn’s dich interessiert. Im Grunde ging es bei dem Diskurs zwischen Veranstalter und Fans um die Frage, wie man das Festival weiter entwickeln könnte. Auch in Richtung Umweltschutz. Wie könnte man die Anfahrt optimieren, aber natürlich auch "was erwarten die Leute". Damals habe ich einen Workshop gemacht, aber eher inoffiziell. Ja und jetzt eben wirklich ein Teil vom Programm zu sein, ist schon eine herausragende Nummer. Ansonsten, hat das natürlich auch viel mit dem Buch zu tun, aber auch mit dem "Ministerium für Schwermetall" (Seite auf Facebook, mit indes weit über 50.000 Followern, die Nico betreibt / Anm.d.Red.). Als das letzte Mal zuvor das Wacken Festival stattfand, da war das Ministerium gerade mal ein Jahr alt und auch noch nicht so groß. Und dieses Mal bin ich ständig angequatscht worden. Zum Teil auch mitten im Moshpit. Da wurde ich angesprochen: "Hey, du bist doch der..." Und dann schreiben dir am nächsten Tag die Leute: "Hey, war geil mit dir im Moshpit!" Also das war dieses Jahr krass anders, als in den Jahren davor. Und das hätte ich auch so nie erwartet. Das mit dem Ministerium (für Schwermetall) war auch eigentlich eher so ein Gehirnfurz, der sich jetzt aber irgendwie weiterentwickelt hat.
TT: Ja, die Tage hast du die 50.000 Follower-Marke durchbrochen...
Nico Rose: Ja, da ist natürlich durch das Wacken nochmal einiges nach oben gekommen, da einige Posts regelrecht viral gegangen sind. Musikalisch habe ich mich einfach tierisch darüber gefreut TIAMAT zu sehen, weil ich die das letzte Mal live gesehen habe, als ich gerade Abi gemacht habe. Also 1998. Und auch wenn die keine neue Musik rausgebracht haben, war das einfach echtes Gänsehautfeeling. MERCYFUL FATE habe ich zum ersten Mal live gesehen. Fand ich auch wahnsinnig gut. Die hatten einen, zumindest da wo ich gestanden habe, unheimlich druckvollen Gitarrensound. Später waren JUDAS PRIEST dran, die konnten leider überhaupt nicht dagegen halten, muss ich sagen. Wie gesagt, in der letzten Nacht DEATH ANGEL. Das war einfach ein Komplettabriss. Aber ich bin auch gefühlt eine halbe Stunde im Circle Pit rumgerannt, bis ich umgefallen bin. Das war perfekt zum Austoben am Ende. Nach der Lesung und der Signing-Session hatten wir noch eine spontane Signing-Session am Stand von Globetrotter, diesem Outdoor-Ausrüster, weil die freundlicherweise 50 Bücher von mir im Gepäck hatten. Als das dann alles fertig war, bin ich glückselig Richtung Artist-Bereich gestolpert und dann kam ich auf der Wasteland Stage an einer Bühne vorbei, auf der gerade THE OTHER spielten. So Horror-Punk, an die MISFITS angelehnt, klingt zwischendurch aber auch mal ein bisschen wie 69 EYES, so ein bisschen wie SISTER OF MERCY. Die kannte ich überhaupt nicht, fand sie aber grandios geil. Das war so meine Überraschungsentdeckung auf dem Wacken. Die werde ich mir demnächst noch mal in Ruhe reinziehen. Fand ich sehr gut. Ich glaube, der Sänger und Manager lebt jetzt in Köln. Da spielt auch noch so ein bisschen Lokalpatriotismus mit rein. Aber das war so meine schöne, positive Überraschung und jetzt bin ich auf jeden Fall Fan. Das hatte auf jeden Fall einen hohen Spaßfaktor.
TT: Bevor dein Buch auf dem Markt erhältlich war, ist es bereits in die 2. Auflage gegangen und es ist in der Erscheinungswoche bereits auf Platz 10 der Spiegel-Bestsellerliste gelandet. Das muss dich ja mächtig stolz machen.
Nico Rose: Das macht mich auf jeden Fall stolz, weil das schon sowas wie ein kleiner Lebenstraum war. Wenn man, ich sage immer die bekloppte Doktorarbeit mit einrechnet, dann ist das bereits das siebte Buch gewesen. Die Veröffentlichungen davor waren allerdings eher klassische Fachbücher für 40,- Euro beim Fachverlag gewesen. Das hat natürlich auch seinen eigenen Wert, aber damit hast du natürlich nicht die Chance Bestsellerlisten zu erreichen. Am Ende des Tages, wenn du ein Buch schreibst, genauso wie wenn du Musik veröffentlichst, dann hoffst du natürlich, dass es einschlägt und erfolgreich wird. Ja, von daher war das wirklich die Erfüllung eines kleinen Lebenstraums. Ich bin super dankbar. Und Stolz gehört da natürlich auch dazu. Ich bin Psychologe von Haus aus und wir haben alle ein bisschen so eine Art Helfersyndrom, um es mal so auszudrücken. Der eine ein bisschen mehr, der andere ein bisschen weniger. Das Buch ist heute ziemlich genau seit zwei Monaten raus und es haben sich ungelogen hunderte von Menschen bei mir gemeldet. Die melden sich viel über Instagram, die melden sich über Facebook, die melden sich über andere Kanäle. Die Meisten meinten immer nur: "Hey cool, ich les grad dein Buch. Ich bin grad auf dem Weg nach Wacken oder ich bin in Mallorca am Strand und äh, lieben Dank! Aber zum Teil kriege ich auch halbe Romane zurückgeschickt, in denen die Leute mir dann beschreiben, was das Buch mit ihnen macht und dass es ihnen hilft. Da sind total rührende Rückmeldungen dabei. Ich will dir mal ein Beispiel geben: Am 05. Juli war ich bei IRON MAIDEN auf der Waldbühne. Ich hatte mich dort mit einem Kumpel getroffen, der hat mir irgendwo in der Mitte noch einen Platz frei gehalten. Mein Kumpel ist ein bisschen älter als ich. Ich denke so Anfang, Mitte Fünfzig. Ist Banker in Frankfurt. Ich war ja früher im Berufsleben auch eher Manager, wo man sich häufig fragt, passt das jetzt so rein mit meinem Metal-Dasein? Der sagte mir: "Ich hab das Buch durchgelesen. Hey, ich fand dich cool. Und nachher habe ich es aus Spaß einfach mal meiner Frau gegeben, die mit Metal aber gar nichts am Hut hat. Sie sagte, ich hab das trotzdem so ein bisschen quergelesen. Und sie wäre anschließend zu ihm gekommen und hat sinngemäß gesagt: "Ich versteh dich jetzt als Menschen besser." Das ist natürlich geil! Wenn du sagst, das Buch hilft Menschen dabei besser verstanden zu werden. Irgendwie mit ihrem Metalhead-Dasein ein besseres Leben zu führen. Das ist natürlich für den Psycho in mir nochmal total geil! Abgesehen davon, dass es sich einfach gut verkauft.
TT: Ich fand es auch sehr interessant. Das war mal ein komplett anderer Blickwinkel auf, ja auf sich selbst. Man erkennt sich teilweise wieder, teilweise wiederum auch nicht, weil das Ganze natürlich stark verallgemeinert ist.
Nico Rose: Wie du schon geschrieben hast, ich bin ja jetzt selbst auch nicht so der..., also früher war ich ja ein echtes Weichei. Da habe ich nur HELLOWEEN und GAMMA RAY gehört. Mittlerweile höre ich auch andere Sachen. Aber wenn du selbst auf wirklich extreme Metal-Varianten stehst, dann wirst du dich wahrscheinlich in dem Buch nicht ganz so wiederfinden. Das sehe ich ja hinterher in der Studie, dass mit dem Grad der Extreme auch die Persönlichkeit noch mal anders wird. Ich bin da wahrscheinlich eher so ein Durchschnittsgewächs und höre deswegen natürlich auch Durchschnitts-Metal. Klar, dass sich einige Leute dann eventuell nicht so ganz abgeholt fühlen. Andererseits habe ich aber gesagt, ich möchte natürlich möglichst die breite Masse abholen.
TT: Wie bist du auf die Idee zu deinem Buch "Hard, Heavy & Happy" gekommen? Gab es einen besonderen Hintergrund oder hast du dir gesagt: "Es ist jetzt Zeit. Das muss jetzt niedergeschrieben werden!"
Nico Rose: Ehrlicherweise bin ich selbst gar nicht auf die Idee gekommen, sondern selbige ist an mich herangetragen worden. Das war auch lustigerweise alles wieder mit dem Ministerium verwurzelt. Dafür muss ich allerdings ein bisschen ausholen. Die Dame, die das Buch verlagsseitig betreut hat, heißt Stephanie Walter und ist selbst auch Metal-Fan. Sie fährt also auch nach Wacken, aufs Summer Breeze und folgt seit einigen Jahren auch dem Ministerium. Ich habe mich am Anfang komplett hinter dieser Persona (des Ministeriums für Schwermetall) versteckt. Da haben mich Leute angeschrieben: "Euer Team...". Ich mach das ja komplett alleine und finde es immer lustig, wenn ich mit "Team" angeschrieben werde. Erst in den letzten 1 ½ bis 2 Jahren bin ich dort auch als Person ein bisschen präsenter. Auf jeden Fall hatte sie irgendwann einmal gegoogelt, wer denn eigentlich dahinter steckt. Das war aber schon vor drei Jahren. Dann hat sie festgestellt, na ja der Typ ist Psychologe, der hat auch schon ein paar Bücher geschrieben und er ist Metal-Fan. Das ist ja ganz interessant. Sie hat damals noch beim Campus Verlag gearbeitet. Die veröffentlichen eher Management Bücher und so. Sie hat mich angeschrieben, wir haben uns unterhalten, aber eigentlich erst mal nur über das nächste langweilige Management Buch. Das war der Einstieg. Irgendwann ist sie dann tatsächlich mit der Idee auf mich zugekommen. Sie hatte einen Artikel in der "Psychologie Heute" gelesen, das ist eine populärwissenschaftliche Zeitschrift, in der ein vier- oder fünfseitiger Bericht von Prof. Jörg Scheller war, den ich auch in meinem Buch interviewt habe. Er hat darüber geschrieben, warum Metalheads eigentlich ganz glücklich sind. Und er bezog sich da auf eine Studie von 2015, die natürlich auch in meinem Buch zu finden ist, anhand derer man festgestellt hat, dass Metal-Fans im mittleren Lebensalter glücklicher sind, als die "Normalos". Das war damals eine Studie, die ist ziemlich steil gegangen ist und auch im Metal Hammer sowie im Rock Hard zu finden war. Lange Rede, kurzer Sinn. Sie hat dann angefangen, zwei und zwei zusammenzuzählen. Er ist Psycho(loge), schreibt gerne Bücher, ist Metalhead, Community, Glücklichsein...und dann hat sie mich gefragt: "Hast du nicht Bock aus dieser Thematik ein Buch zu machen?" Die Wahrheit ist, ich hab erstmal gesagt: "Sorry, das ist doch Quatsch! Ey ganz ehrlich, für die fünf Seiten in der "Psychologie Heute" trägt das mit Sicherheit, aber das reicht doch nicht für ein 200 Seiten Buch." Dann kam Corona dazwischen und im Sommer 2020 habe ich angefangen zu überlegen, wie viele Kapitelüberschriften ich denn zusammenkriegen würde.
TT: Das war ohnehin eine gute Idee, wie du das gemacht hast. Ich meine den Aufbau der Kapitel, wie ein kompletter Song.
Nico Rose: Am Anfang war der Arbeitstitel noch "Happy Metal – 33 ⅓ Gründe, warum Metal glücklich macht". Mit ein bisschen Recherche hatte ich irgendwann auch 26 bis 27 Überschriften zusammen. Daraus haben wir ein Exposé von 10 bis 12 Seiten gemacht. Damit ist Stephanie dann bei ihrem alten Verlag "Campus" hausieren gegangen und die haben gesagt: "Nee, coole Idee, cooler Typ, aber ist einfach nicht unser Ding. Wir machen Management und Politik. Wenn wir das unserem Vertrieb in die Hand geben, die zeigen uns nen Vogel." Dann gab es die glückliche Fügung, dass Stephanie Walter zum Jahreswechsel 2020/2021 von Campus zu Penguin Randomhouse gewechselt ist. Das ist eine große Verlagsgruppe, der auch der Heyne Verlag angehört. Sie arbeitet selbst gar nicht bei Heyne und macht eher Selbsthilfe, Esoterik, aber sie hat gesagt: "Ich find die Idee immer noch so geil. Wenn ich hier ein paar Wochen an Bord bin, dann fange ich wieder an, das den Leuten hier zu zeigen. Es kam immer die gleiche Rückmeldung: "Das ist irgendwie ne coole Idee, aber...!" Entweder ist es zu nischisch oder es ist zu abgedreht. Dann kam natürlich die Idee auf, bei Heyne gibt es ja die Untersektion Heyne Hardcore...
TT: Das hätte ich auch gesagt, denn das hat mich ohnehin gewundert, dass es da nicht rausgebracht wurde. Schließlich sind da unter anderem die Biografien von Lemmy oder Billy Idol erschienen, die ich gelesen habe und die hier oben im Regal stehen. Heyne Hardcore wäre ja eigentlich prädestiniert dafür gewesen, das Buch zu veröffentlichen.
Nico Rose: Haben wir auch gedacht. Rückmeldung war auch wieder: "Ja, aber...! Ja, ist interessant, coole Geschichte, guter Typ, aber...!" Deren Argumentation war letztlich: "Wir verlegen nur Bücher von berühmten Leuten." Dann sind wieder ein paar Wochen ins Land gezogen. Anschließend hat Stephanie Walter das Thema auf einer internen Konferenz noch mal dem Gesamtleiter Sachbuch von Heyne vorgetragen. Er selbst hat mit Metal überhaupt nichts am Hut, hat aber sinngemäß gesagt: "Macht mal. Geht ihr mal spielen." Das ist ja eigentlich ne schöne Geschichte, die man auch von vielen Bands kennt. Nach dem Motto: Wir haben Demos geschickt und lauter Absagen bekommen. Du brauchst jemanden, der ultrahartnäckig ist, so wie Stephanie Walter, bis dann irgendwann einer nicht mehr "nein" sagt. Lange Geschichte, aber so kam das zustande. Noch nen Fun-Fact: Natürlich fängt man vorher an zu planen und wir haben den Verlag gefragt, was denn so die Projektion sei. Na ja, dann wurde gesagt, der Verlag würde sich freuen, wenn ihr im ersten Jahr 10.000 Exemplare verkauft. Dann freuen wir uns. Die hatten wir nach etwa 10 Tagen schon. Daher bin ich Stephanie ewig dankbar. Sie hat mindestens so viel Anteil an dem Buch wie ich, welches sie mit der Metal-typischen Hartnäckigkeit durchgeprügelt hat.
TT: In deinem Werk "Hard, Heavy & Happy" gehst du oftmals auf die negative Wirkung auf Heavy Metal von Kirche, Staat, Institutionen und Privatpersonen ein. Ein leidiges Thema, bei dem dir der Kamm schwillt? Früher war das ja teilweise schlimm gewesen, heute geht das ja einigermaßen. Es ist ja alles etwas loyaler geworden.
Nico Rose: Ich bin ohnehin nicht der Typ, der wütend wird. Ich neige nicht zur Auflehnung. Du kannst dir heute vieles fast schon historisch durchlesen. Mitte der 80er mit den "Filthy Fifteen" von Tipper Gore (ex-Ehefrau von Al Gore / Anm.d.Red.) oder dass die Leute vor dem Ozzy-Konzert protestiert haben. Ich zitiere auch das Buch "Wir wollen nur deine Seele" von 1984 (von Ulrich Bäumer / Anm.d.Red.). Das ist fast schon wieder angsteinflößend, weil du herauslesen kannst, dass der das ernst meint. Der glaubt ja offensichtlich an Gott und Teufel und dass Dämonen Menschen in Besitz nehmen können. Da tut mir dieser Mensch fast schon wieder leid, weil das schon in die klinische Ecke geht. Vieles kannst du heute mit einem Schmunzeln aufnehmen. Was mich aber schon ein bisschen bestürzt hat, weil es wiederum nicht so lange her ist, ist die Geschichte um Thomas Gurrath von DEBAUCHERY, weil sie den 2010 tatsächlich aus dem Beruf rausgeekelt haben. Ich bin kein Jurist, aber ich habe auch schon einiges zum Thema Arbeitsrecht aufgeschnappt, durch meine frühere Tätigkeit. Also ich würde sagen, dass man ihn mit juristisch sehr zweifelhaften Mitteln aus dem Lehramtsberuf rausgedrängt hat. Und das ist jetzt auch nicht 80er! Das war 2010 und das war auch nicht in Teheran, sondern in Stuttgart. Das hat mich schon ein bisschen, auf einer Metaebene, schockiert. Ansonsten finde ich es eher spannend, jetzt gar nicht mal so sehr auf der krassen Zensurebene, die es mal gegeben hat, sondern eher bezüglich der Frage, wie das Metal-Dasein in deinen normalen Alltag reinpasst. Wenn du nun mal Investment-Banker bist oder wie ich früher Bertelsmann Manager. Es gibt in der Soziologie den Begriff des "Habitus". Habitus steht für das, was du von deiner Familie mitgegeben bekommen hast, die Sitten, die Umgangsformen..., und da wissen wir heute einfach, dass die Topetagen in den großen Unternehmen in der Regel..., man könnte fast sagen "vererbt" werden. Das sind fast alles Leute aus sehr, sehr gutem Hause. Leute, die selbst aus Unternehmerfamilien kommen. Ich bin ein kleiner Beamtensohn, komme aus Hamm, also eher aus einer Bergbauregion. Hamm ist eher eine Proletenstadt, eine Bergarbeiter-Stadt und da bist du eben ein bisschen anders drauf und tickst auch anders. Hast aber vielleicht ein bisschen was studiert. Irgendwann kommst du in solchen Sphären an und dann sind das eher so Kleinigkeiten, die dir aber immer wieder vorspiegeln: Du gehörst hier eigentlich gar nicht richtig hin. Das merkt man vor allen Dingen bei den Unterhaltungen: "Ich war am Wochenende Golf spielen." Du unterhältst dich über den Urlaub im Sommer. Dann sind das in einer gewissen Schicht Dinge, die du machen "musst". Nach dem Motto: Ich fahre nach Tirol zum Wandern. Haute Cuisine, mach hier ne Weinprobe und danach gehen wir noch in die Oper. Und ich sag dann: "Ich bin dann mal in Wacken im Schlamm und lass mich volldröhnen." Da merkst du dann so ein leichtes "Ich gehör hier nicht so ganz hin." Metal hat ja durchaus als Gegenkultur angefangen und ein bisschen was davon merkst du heute immer noch. Und wie man damit lebt, wie man damit klarkommt, wie man sie vielleicht auch produktiv nutzt, das hat mich sehr beschäftigt. Nicht nur dieses klassische "Heavy Metal ist der Teufel" und wir müssen das aus der Öffentlichkeit verbannen. Das ist ja zu weiten Teilen tatsächlich vorbei.
TT: Gab es denn weitere Themengebiete, die den Rahmen deines Buches gesprengt hätten? Bei denen du gesagt hast, die hättest du zwar gerne dabei, musstest sie aber rausschmeißen, weil es so nicht reinpasst? Ne Vorgabe, wie viel Seiten es maximal sein dürfen gab es verlagsseitig ja sicherlich nicht, oder?
Nico Rose: Es ist sowieso viel dicker geworden, als ursprünglich gedacht. Stephanie war noch ganz neu beim Verlag und hat mir vorher einen falschen Satz-Spiegel mitgeteilt. Sie meinte, wenn du so um die 70.000 Wörter schreibst, dann sind das ca. 280 Seiten. Der Drucksatz ist jetzt aber größer und so sind es knapp 90 Seiten mehr geworden. Mir als Autor ist das erst mal egal, weil das natürlich wertiger ist. Auch mit den schwarzen Seiten. Wird halt für den Verlag dann teurer, weil mehr Seiten, mehr Druck, bessere Bindung...! Weggelassen oder rausgestrichen habe ich eigentlich gar nichts. Wir haben am Anfang ein wenig mit dem Detaillierungsgrad gekämpft. Wer liest das Buch am Ende und welchen Grad an Vorwissen setzt du eigentlich voraus? Wahrscheinlich lesen es hauptsächlich Fans der Szene, vielleicht aber auch nicht, da Heyne ein großer Verlag ist. Das fängt schon bei solchen Dingen an, wenn du beispielsweise über Bruce Dickinson schreibst. Musst du bei Bruce Dickinson dazuschreiben, dass das der Sänger von IRON MAIDEN ist? Für den eingefleischten Fan eher nicht. Der zeigt dir eher nen Vogel. Und jemand, der es ein bisschen von außen liest, der denkt sich dann vielleicht: Wer ist Bruce Dickinson? Dabei eine gute Mischung zu finden, zwischen: Du musst die Leute abholen, aber du willst sie auch nicht für dumm verkaufen. Der gemeine Metalfan ist ja in der Regel sehr detailverliebt und eignet sich über die Jahre großes Wissen an. Und wenn du zu viel mitlieferst, dann wird es langweilig. Dann fühlt sich der Metalfan nicht mehr abgeholt. Es ging gar nicht so sehr darum, wie viel Stoff reingeht, sondern darum, den richtigen Ton zu treffen. Wirklich mit der Frage im Hinterkopf, wer liest es im Endeffekt überhaupt? Wie viel historisches musst du mit reinbringen? Das waren so die Fragen. Ich schreibe gleich am Anfang, dass ich nicht vortäuschen wollte, ich sei der oberkrasse Metal-Experte. Da gibt’s tausende von Leuten, so wie dich wahrscheinlich auch, die seit zwanzig Jahren Fanzine machen und tausende von Musikern interviewt haben. Es gibt eine "History Of Heavy Metal" und die ganzen Biografien. Ich habe gedacht, ich fokussiere, mich auf das, wovon ich was verstehe und das ist die Psychologie. Weil ich aber auch gesehen habe, dass es auf diesem Sektor bislang noch nicht so viel gibt. Also, dass wir etwas rausgestrichen haben..., eher nicht. Es ging vielmehr um die Frage: Treffen wir die richtige Tonalität? Holen wir die richtigen Leute ab? Holen wir die Leute richtig ab? Das war am Anfang das, womit ich eher gekämpft habe.
TT: Also ich fand das gut. Ich hatte ja geschrieben, dass man sich als Leser bei der Hand genommen fühlt und dass du einen durchs Buch führst. Ich fand auch den Aufbau sehr gut. Ich muss nur sagen, dass es mir stellenweise ein wenig durcheinander vorkam. Dass Sachen hätten vorne mit angesprochen werden können oder vorne dazugehört und es war so ein bisschen hin und her gesprungen.
Nico Rose: Ja, das kann gut sein. Das hat mir der ein oder andere auch schon mal gesagt. Deswegen haben wir am Anfang auch den Verweis mit reingenommen, dass du es nicht unbedingt von vorne bis hinten lesen musst. Du kannst auch mal springen. Wir haben tatsächlich relativ zum Ende hin in einzelnen Kapiteln mal eine oder auch mal vier, fünf Seiten ein wenig umgestellt. Ich komme aus der Wissenschaft und da brauchst du eine Definition, du brauchst ne Struktur und nachdem die Studie ausgewertet war, bin ich mit den fünf Bereichen rausgekommen. Emotion, Relation, Transzendenz etc. Und ich habe dann im Grunde bestmöglich versucht, die verschiedenen Unterthemen auf die fünf Hauptthemen aufzuteilen. Deswegen haben wir am Ende das ein oder andere noch mal hin und her geschoben. Ich finde es ganz gut so, weil die Aufteilung auf diese Oberthemen ganz gut passt, aber natürlich kannst du die auch anders anordnen. Das ist am Ende auch eine Geschmacksfrage. Jemand sagte zu mir: "Deine persönlichen Geschichten nehmen zu viel Raum ein. Die reißen das Wissenschaftliche auseinander." Ein anderer schreibt mir: "Ey, ich finde die Geschichten ganz cool, ansonsten bist du mir zu wissenschaftlich."
TT: Ich fand es nicht zu viel vom einen und auch nicht zu viel vom anderen. Es war easy reading, gut geschrieben, man konnte es gerade als Metaller gut lesen. Deswegen hatte ich ja auch geschrieben: Die paar verwendeten Fachbegriffe...geschenkt..., die kann man zur Not auch googeln. Die persönlichen Sachen fand ich ebenfalls sehr gut, da man dabei mal ein bisschen was von dir, also vom Autor erfährt. Was macht der so? Wie denkt der so? Wie sieht der die Sachen? Auch als du so ein bisschen ins Traurige reingehst, mit deiner Vergangenheit. Oder als du in Amerika warst. Und wenn man da so isoliert wird oder sich zumindest so vorkommt, als ob man nicht dazugehört, fällt man schnell in ein tiefes Loch, aus dem man schwer wieder rauskommt.
Nico Rose: Ich hatte mittlerweile drei Lesungen. Einmal in München im Backstage, dann in Wacken und jetzt am Samstag hatte ich eine in meiner Heimat in Hamm, in ner Metalkneipe. Das ist das Thema, über das die meisten Leute im Anschluss reden wollen. Die wollen gar nicht so sehr über Musik reden und wie das bei mir alles angefangen hat, sondern sagen mir: "Ey, das ist mutig, dass du so offen über Depressionen und so weiter sprichst. Ich bin davon auch betroffen oder ich war davon betroffen."
TT: Du hast ja eine Studie mit über 6.000 Metalfans abgehalten. Hast du da ein besonderes Augenmerk auf irgendetwas gelegt und war es von vornherein klar, dass das online ablaufen wird? Macht es ja auch leichter. Macht ja Sinn!
Nico Rose: Das war von vornherein als Online-Studie geplant. Das ist heutzutage der typische Ablauf. Dass es hinterher 6.000 Leute geworden sind, habe ich letztlich den Damen und Herren vom Wacken zu verdanken, weil die das ein oder zwei Tage vorher bei sich auf Facebook geteilt haben. Ansonsten hatte ich natürlich die Hoffnung, dass über das Ministerium vielleicht ein paar hundert Leute teilnehmen. Der Wacken-Kanal auf Facebook hat, glaube ich jetzt über eine Million Follower. Dann war das auf einmal eine ziemlich fette Stichprobe. Sowas kriegt man ansonsten nur ganz, ganz selten zusammen, wenn man jetzt nicht gerade ein großes Marktforschungsinstitut dafür bezahlt. Das ist schon außergewöhnlich. Das war mir schon recht wichtig. Ich wollte in dem Rahmen möglichst professionell vorgehen. Das heißt, wissenschaftliche Standards einhalten, bei den Instrumenten, die ich benutzt habe. Zum Beispiel, was die Erfassung der Persönlichkeit angeht. Das ist ein Instrument, das von einer sehr tollen Kollegin über viele Jahre entwickelt und validiert wurde. Denn nur dann kannst du die Ergebnisse letztlich auch mit anderen Studien vergleichen. Den Metalhead an sich zu beschreiben ist das eine, aber einen vernünftigen Vergleich zwischen den Metalheads und den "Normalos" herzustellen ist noch mal etwas anderes. Bei dem späteren Teil habe ich die Leute unter anderem gefragt: "Was machst du mit deiner Musik? Was ist dir wichtig daran?" Da war relativ schnell klar, dass du dich nicht auf irgendetwas berufen oder verlassen kannst, was andere vor dir schon gemacht haben. Das ist das klassische Vorgehen in der Wissenschaft. Du stellst dich immer auf die Schulter von Riesen. Das heißt, du beziehst dich eigentlich immer auf das, was davor gewesen ist. Wenn’s in dieser Hinsicht aber noch nichts gibt, dann musst du kreativ werden und dir deine eigenen Fragen ausdenken und weißt eigentlich erst später, nach der Datenerhebung, so richtig, ob das alles Sinn gemacht hat. Ob das auswertbar ist. Ob das halbwegs interpretierbar ist. Das weißt du vorher nicht. Von daher habe ich ne schöne Mischung versucht. Bei einem Teil möglichst akkurat und wissenschaftlich abgesichert vorzugehen, damit es eine Vergleichbarkeit gibt und in dem anderen Teil war es im Grunde, kreativ sein, sich vortasten, was Neues entwickeln und hoffen, dass du hinterher selbst verstehst, was du da gefragt hast...hahaha. Das hat aber gut funktioniert.
TT: Du hast das ein oder andere Thema, dass sich nicht so gut auswerten ließ, daher auch weggelassen.
Nico Rose: Ja, das stimmt, das hatte ich dir geschrieben. Ich hatte noch ein paar Fragen, zum Beispiel: Was habe ich in der Kindheit erlebt - und wie hat das meinen Musikgeschmack beeinflusst? Aber da hätte ich dann was an den Haaren herbeigezogen. Das wollte ich dann nicht machen.
TT: Ja, das ist klar. Es hat ja einen wissenschaftlichen Hintergrund und soll im Endeffekt auch so aufbereitet sein, dass man das aus den Daten herauslesen kann und nicht dies oder jenes reininterpretieren.
Nico Rose: Das war bei der Typologie der Fall. Ich habe ja die Typologie von Metaltypen aufgestellt. Der Kollege (Illustrator: Stephan Baumgarten / Anm.d.Red.) hat die auch bebildert. Das hatte ich auch im Vorfeld mit ein paar Leuten diskutiert. Sind die fünf jetzt richtig? Sind das zu viele, sind das zu wenige? Und hier war auch immer der Kritikpunkt, dass Leute gesagt haben, da fehlt dieser Prog Metal-Nerd. Auf jeden Fall ein Mann, mittleren Alters, ein bisschen hager, der nur Prog Metal hört, DREAM THEATER für Kaspermusik hält und den Viervierteltakt für ein Verbrechen an der Menschheit. Den gibt es mit Sicherheit, das will ich gar nicht abstreiten, aber es hat sich in den Daten nicht so deutlich herauskristallisiert. Es wären nicht genug gewesen, um daraus einen eigenen Typen zu kreieren. Deswegen habe ich das auch nicht gemacht.
TT: Du sprichst in deinem Buch des Öfteren "Kommerzkacke" an und beziehst dich dabei auf den Erfolg der Musik, die deiner Meinung nach Metallern sauer aufstößt. Ich seh das eher so, dass der Wechsel von harter zu softerer Musik für viele den Ausschlag gibt, zu sagen: Das ist jetzt Kommerzkacke geworden oder es gefällt den Fans der ersten Stunde einfach nicht mehr. Ich habe von den meisten Bands nur drei bis vier Alben, wenn’s hochkommt, weil mir das irgendwann dann nicht mehr gepasst hat oder zu kommerzig wurde.
Nico Rose: Ich bin da in erste Linie mal sehr offen und ich komme ja auch aus der Wirtschaft. Ich habe 15 Jahre lang im weitesten Sinne als Manager gearbeitet. Und dann ist es klar, dass du erst mal daran arbeitest, dass sich etwas gut verkauft.
TT: Es ist ja auch verständlich. Die Leute wollen oder müssen Geld verdienen. Zum Beispiel eine Band wie VADER. Die gehen extrem viel auf Tour. Deren Verkäufe oder Absatzzahlen werden auch nicht so der Reißer sein, aber sie sind immer ihrer Linie treu geblieben. Die haben immer mehr oder weniger gleich harte Musik gemacht und sind nicht auf den Zug aufgesprungen, melodischer oder gefälliger zu klingen.
Nico Rose: Ich glaube, das sind zwei Ebenen. Einmal ist es der reine Erfolg. Ich glaube schon, dass es einen gewissen Teil in der Szene gibt, der einfach ein bisschen allergisch darauf reagiert, wenn etwas zu erfolgreich oder zu groß wird. Ich seh das häufiger in meinem Ministerium. Wenn es nicht mehr Underground, wenn es nicht mehr nischisch ist, dann wird es irgendwann nicht mehr akzeptiert. Unabhängig davon, wie sich die Band oder das Festival tatsächlich entwickelt hat. Das andere, was du gerade ansprichst, was auch Rainer Sontheimer in seinem Interview thematisiert, kann ich nachvollziehen. Wenn eine Band absichtlich softer wird oder radiotauglich werden möchte, um mehr Airplay zu bekommen, wenn man wirklich den Stil anfasst, mit dem Ziel einen größeren, kommerzielleren Erfolg zu erzielen, das kann ich durchaus nachvollziehen. Auf der anderen Seite bin ich da eher liberal, freigeistig geprägt. Jeder hat erst mal das Recht zu machen, was er oder sie möchte. Wenn ne Band eben Lust auf etwas anderes hat, dann hat sie Lust auf was anderes. Es ist immer die Frage, wie viel Kalkül steckt dahinter. Ich habe neulich mal wieder nach langer Zeit die letzten beiden Alben von HELLOWEEN gehört, bevor Michael Kiske ausgestiegen ist. Die "Pink Bubbles Go Ape". Das war die erste, nachdem Kai Hansen raus war und dann kam ja diese weiße, diese "Chameleon" heißt die glaube ich. Das ist fast nur noch Softrock. Ich finde das da aber trotzdem geile Lieder drauf sind. Das hat mit Sicherheit damals nicht geholfen. Da war glaube ich einfach das Bedürfnis insbesondere der Band da, andere Musik zu machen. Von daher habe ich das mit aufgenommen, weil das ein wichtiger Teil der Szene ist. Ich bin selbst relativ schmerzfrei. Nach dem Motto: Leben und leben lassen. Ich habe total Glück gehabt, weil ich METALLICA erst vor ein paar Jahren für mich entdeckt habe. Ich habe natürlich damals das schwarze Album gekauft, wie wahrscheinlich 38 Millionen andere auch. Ich hatte aber gar keine richtige Beziehung zu den 80er Jahren von METALLICA. Und ich finde das heute total angenehm, weil ich die 80er von METALLICA erst nach den 90ern und den 2000ern entdeckt habe. Ich kann jetzt deswegen beides genießen. Ich habe manchmal so ein bisschen das Gefühl, du bist von den Ansprüchen der Szene gezwungen, alles nach 1988 scheiße zu finde. Aber das habe ich nicht. Ich fand das danach gut und entdecke jetzt die 80er wieder für mich neu. Manchmal hat das auch so ein bisschen was mit Habitus zu tun. Ich muss jetzt GHOST scheiße finden oder ich muss die neue METALLICA scheiße finden. Das liegt mir persönlich relativ fern, aber ich weiß, dass es eben Teil der Szene ist und deswegen habe ich auch mit einem Augenzwinkern drüber geschrieben. Mit Sicherheit gibt es Leute, die sagen "Hard, Heavy & Happy" ist Kommerzkacke. Weil es eben bei einem großen Verlag erschienen und einigermaßen erfolgreich ist. Kann ich dann aber ganz gut mit leben.
TT: Ja, das glaube ich dir gern...hahaha! Kommen wir noch mal auf das Ministerium für Schwermetall zu sprechen. Ist dir das mit mittlerweile über 50.000 Followern nicht etwas zu mächtig geworden? Das ist schon eine Hausnummer, mit 50.000 Leuten, wenn du damit mal aus Jux und Tollerei angefangen hast. Du hast ja mit Sicherheit auch nicht damit gerechnet, dass das mal so groß wird.
Nico Rose: Nee, überhaupt nicht. Das war, wie ich immer sage, ein Gehirnfurz. Ich merke jetzt gerade schon den Unterschied, dass es mehr Zeit erfordert, weil einfach mehr Menschen schreiben. Ich muss ja jetzt auch nicht auf jeden Kommentar antworten. Ich gucke schon immer mal durch und versuche auch viel zu liken. Wenn ich was witzig finde, reagiere ich darauf, aber ich hatte nie den Anspruch, jedem einzelnen Menschen gerecht zu werden. Jetzt, durch das Buch ist es so, dass mir viele Leute auch privat Nachrichten schicken. Wobei ich das schon arschig fände, darauf nicht zu reagieren. Manchmal dauert es halt zwei bis drei Tage, aber ich versuche schon jedem irgendwie halbwegs anständig zurückzuschreiben. Da merke ich schon, dass das ein bisschen mehr wird. Manchmal hast du Posts, die viral gehen. Warum auch immer. Ich habe zum Beispiel neulich, als der Ukraine-Krieg, wobei ich das immer Russland-Krieg nenne, für mich ist das ein Russland-Krieg, da habe ich aus Solidarität ein Bild von mir zusammen mit Wladimir Klitschko gepostet, der ja eine besondere Rolle einnimmt. Das hatte plötzlich zig Millionen Abrufe, weil sich da auch Leute von außen draufstürzten. Es gibt einfach Themen, die triggern die Leute unglaublich. Politik triggert die Leute am meisten glaube ich, Religion triggert die Leute sehr, sehr stark. Das sind aber Themen, die ich eher versuche zu vermeiden, weil’s mir doch mehr um den Spaß geht. Manchmal gehen aber auch Beiträge viral, bei denen ich es gar nicht verstehe. Zum Beispiel hatte ich bei Wacken etwas gepostet, das mittlerweile glaube ich auch 2 bis 2,5 Millionen Views hat. Da habe ich einfach nur ein Bild von mir gepostet. Ich habe einen Spruch darunter geschrieben, ich glaube, der ist sogar geklaut: Nach drei Tagen Wacken hast du Dreck an Stellen, wo du vorher nicht mal Stellen hattest. Halbwegs lustiger Spruch, den ich, glaube ich, von Markus Krebs geklaut habe. Und auf einmal geht das Ding ab wie Schmitz Katze. Dann kommentieren natürlich auch Leute, die mit der Szene gar nichts zu tun haben. Und irgendwer fühlt sich von irgendjemandem, irgendwie immer angepisst. Dann geht das los, was wir in der Psychologie das Dramadreieck nennen. Einer schreibt was, dann gibt jemand daraufhin einen doofen Kommentar ab, dann kommt ein Dritter hinzu, der den ersten verteidigen will. Der will aber gar nicht verteidigt werden. Und dann hast du auf einmal Stunk und weißt selbst gar nicht, wo das herkommt. Das sind schon die Momente, in denen ich viel Zeit damit verbringen muss, das zu moderieren. Ich lösche nix, aber ich stelle Beiträge schon mal auf unsichtbar. Die sind dann für den Verfasser und für die Freunde des jeweiligen Verfassers weiterhin sichtbar, aber die anderen Leute können das nicht mehr sehen. Das mache ich dann, wenn die Leute anfangen, sich zu beleidigen. Ich will keine schlechte Stimmung. Das nutzt niemandem. Und am Ende des Tages bin ich mir noch nicht mal sicher, also ich bin ja kein Jurist, aber inwieweit ich als "Gastgeber", als Host dieser Seite, nicht vielleicht sogar für den Inhalt verantwortlich bin. Klar habe ich das in dem Moment nicht selber geschrieben, aber ich lasse das ja sozusagen zu. Das kommt vielleicht ein oder zweimal im Monat vor, aber dann blende ich schon Sachen aus, damit die Leute sich nicht gegenseitig angiften. Zum einen, weil ich es einfach bescheuert finde, zum anderen, weil ich auch nicht die Zeit habe, mir 24 Stunden diesen Stream anzuschauen. Eigentlich ist die Seite ja unkommerziell. Ich poste da nix, weil mir ne Plattenfirma Geld dafür bezahlt, sondern ich poste einfach das, worauf ich Bock hab. Jetzt ist natürlich das Buch dazugekommen, dann gibt es das T-Shirt zum Buch. Da musst du auch immer ein bisschen die Balance finden, zwischen: Das ist cool und ich bin da stolz drauf und klar ist es auch schön, wenn du ein bisschen Geld damit verdienen kannst. Aber eigentlich sollte es immer noch ein Hobby sein. Und dieses ganze Influencer-Tum; und ich halte jetzt meine Nase in die Kamera und mache Werbung für Gummibärchen oder Shampoo oder sonst irgendwas. Das finde ich eigentlich hoch suspekt. Da versuche ich gerade den richtigen Weg zu finden...hahaha.
TT: Das ist aber bei Metallern schwierig, denen das recht zu machen. Dann sagen die: "Hier guck mal, der läuft immer mit seinem T-Shirt rum. Muss das sein?" Dann gibt es noch ne Tasche dazu, Bleistifte und irgend so ein Blödsinn halt. T-Shirts sind ja durchaus o.k...
Nico Rose: Ich wäre auch selber gar nicht auf die Idee gekommen. Mich haben Leute angesprochen und gefragt: "Sag mal, gibt’s das Buchcover auch als T-Shirt?" Das war gar nicht meine Idee. Ich hab mich daraufhin ein bisschen schlau gemacht. Heute gibt’s Spreadshirt, wo du einfach das Motiv hochlädst und dann habe ich angefangen, ein wenig damit rumzuspielen. Ich habe im Prinzip einfach nur auf eine Nachfrage reagiert. Mich haben Leute gefragt, ob es dieses Logo vom Ministerium für Schwermetall, also den Bundesadler mit der Pommesgabel, nicht auch als T-Shirt gibt. Das war wirklich auf Nachfrage und nicht, weil ich mich daran bereichern wollte. Aber wie du schon sagst, das ist immer so ein Zwischenweg. Einerseits ist es natürlich nett, wenn die Leute das gut finden und wenn dann noch ne Mark Fünfzig bei rumkommen, aber du willst es auch nicht ausschlachten. Im Grunde haben KISS das erfunden. Und KISS sind bei allen Leute heute noch heilig.
TT: Das sind ja auch Geschäftsleute durch und durch.
Nico Rose: Ja, also das finde ich das Interessante bei KISS. KISS ist ja eigentlich Kommerzkacke pur. Und trotzdem haben die sich ihren Legendenstatus über die Jahre immer erhalten können. Das finde ich sehr, sehr spannend als Phänomen.
TT: Jetzt haben wir schon so ewig geplaudert. Ich glaube, wir müssen langsam zum Schluss kommen, sonst wird das zu viel. Du hast ja vorhin schon gesagt, dass du bei "Hard, Heavy & Happy" eigentlich nichts weggelassen hast und somit eigentlich auch kein Material übriggeblieben sein dürfte. Aber wird es irgendwann mal eine Fortsetzung geben oder hast du da schon ein bisschen was im Hinterkopf, ob du da noch mal aktiv wirst, was Bücher über Metal im weitesten Sinne anbetrifft.
Nico Rose: Ja, tatsächlich wird das nächste Buch auch von Metal handeln, aber aus einer völlig anderen Richtung. Das wird sich selbst auch gar nicht an Metal-Fans richten, sondern eher an ein Fachpublikum. Ich komme beruflich eher aus der Marketing-Ecke. Ich bin zwar Psychologe, aber ich habe lange in Organisationen gearbeitet. Ich habe viel Personal-Marketing und Employer-Branding auf neudeutsch gemacht, habe keine Produkte verkauft, sondern eher versucht Arbeitgeber attraktiv zu machen, aber ich interessiere mich für das Thema Marketing und Positionierung. Da ist irgendwann die Idee gereift, dass sich natürlich Metalbands auch irgendwie positionieren müssen. Viele Bands sind nicht nur deshalb so groß geworden, weil sie gute Musik machen, sondern weil sie es auf irgendeine Weise geschafft haben, sich auch als Marke in dem Metal-Circus zu positionieren. Ob jetzt absichtlich oder unabsichtlich ist ja dann noch mal ein anderes Thema, aber es gehört heute einfach dazu. Deswegen war die Idee, mit jemandem zusammen ein Buch über Marketing- und Positionierungsstrategien zu schreiben, aber eben am Beispiel von Metalbands. Da sind wir gerade in der Planungsphase, dass wir so 10 bis 12 Bands einsammeln, anhand derer man solche typischen Positionierungsstrategien ableiten kann. Um anschließend zu schauen, was können "normale" Unternehmen daraus lernen, um sich besser zu positionieren, um sich ein bisschen sexier zu machen. Ein Klassiker wäre für mich und das gibt es in der Geschäftswelt eben auch, MEGADETH. MEGADETH ist für mich so das typische "sei die intelligentere, clevere, bessere, schlauere Nummer 2". METALLICA ist sozusagen der große Gegner und METALLICA ist auch deutlich größer. Aber wenn du richtig cool sein willst und richtig gute Musik magst, dann musst du eigentlich MEGADETH-Fan sein. Dieser Disput wird ja auch schon ewig lange gepflegt. Dazu hast du in der Geschäftswelt Äquivalenzen, wie Pepsi gegen Coca-Cola und solche Dinge. Das ist eigentlich ein Spaßprojekt für einen mittelalten Mann und einen etwas älteren Herrn. Der Typ, mit dem ich das schreibe, ist einer der bekanntesten Werbemanager in Deutschland und er ist aber auch Metal-Fan. Wir haben einfach Bock da drauf. Das muss jetzt auch kein großes Buch werden. Das ist einfach ein Spaßprojekt für zwei Kerle, bei dem es auch gar nicht darum geht, wahnsinnig viel zu verkaufen. Das werden eher Leute aus der Marketingbranche lesen, die vielleicht ein bisschen offener für ein paar alternative Ideen sind. Der Hardcore Metal-Fan wird das wahrscheinlich sogar eher doof finden. Wir werden definitiv ein Kapitel drin haben, wie man eine Marke renoviert. Da werden wir uns wahrscheinlich als Metal-Beispiel an MÖTLEY CRÜE abarbeiten. Die waren ja lange weg vom Fenster und sind jetzt wieder gut im Geschäft. Durch das Buch "The Dirt", durch die Verfilmung und auch da findest du wieder reale Beispiele. Die krasseste Renovierung aller Zeiten einer Marke ist Jägermeister. Wenn du heute mit jungen Leuten sprichst, ist Jägermeister für die eine echte Kultmarke. Ich kann mich daran erinnern, dass das in meiner Jugend das absolute Alte-Opa-Getränk war. Also da hätte niemand unter 60 Jägermeister auch nur mit der Kneifzange angefasst.
TT: Passte damals in die Kategorie Kümmerling und Underberg.
Nico Rose: Jaja, ich habe früher die Wochenenden häufig bei meinen Großeltern verbracht. Das heute etwas fragwürdige Ritual war...hahaha..., ich bin freitagabends um sieben in ne Kneipe gegangen und hab Opa aus der Kneipe abgeholt. Der saß immer mit seinen Leuten beim Skat-Spielen und Würfeln und die haben Jägermeister getrunken. Dass das heute solch eine Kultmarke geworden ist, ist aus meiner Sicht eine der denkwürdigsten Marketing-Coups aller Zeiten. Die waren fast tot, dann haben die angefangen, sich langsam aber sicher in Amerika über den Extremsport an junge Leute ranzurobben und als sie gesehen haben, dass das in Amerika funktioniert, galt das gleiche natürlich auch für den deutschen Markt. Jetzt mit dem Platzhirsch auf den Festivals! Also deswegen ist die Idee zu sagen, es gibt da gewisse Prinzipien und wir beschreiben das anhand von Metal-Bands, aber dann eben auch an Beispielen aus dem richtigen Leben. Vielleicht kannst du ja für dich als Marke noch ein bisschen was mitnehmen, aber auch alles wieder mit Augenzwinkern.
TT: Was sind denn neben dem eben angesprochenen Buch deine weiteren Projekte?
Nico Rose: Ja, im Herbst werde ich mich dann auf den Hintern setzen mit dem Metal-Marketing Buch. Das habe ich mir ab September auf die Fahnen geschrieben. Ansonsten komme ich allmählich wieder in meinen normalen Rhythmus rein. Ich lebe ja nicht von Lesungen, sondern halte weiterhin Vorträge für Firmen über Management-Themen. Einzelcoaching mache ich auch immer noch. Das ist das, womit ich gerade mein Geld verdiene, da ich meine Anstellung als Professor (für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management in Dortmund) vor ein paar Monaten ad acta gelegt habe. Ich habe auch das erste Mal im Leben kein Festeinkommen mehr. Da muss ich mich auch noch dran gewöhnen. Zwischendurch kommt dann immer mal wieder die ein oder andere Lesung, die jetzt schon geplant ist. Wahrscheinlich eine im Oktober, eine im November. Im Januar ist auf jeden Fall schon eine geplant. Und ich lasse das gerade ein bisschen auf mich zurollen. Ich forciere das Metal-Ding auch nicht stark weiter, aber über das Buch kommt natürlich die ein oder andere Anfrage. Das Buch ist wahrscheinlich eine Plattform, auf der weiterhin Leute an mich herantreten werden und ich schau mir das an. Auf die eine Welle spring ich dann auf und die andere Welle lasse ich dann eher mal an mir vorbeisausen. Ich muss mal schauen, was noch so passiert. Also ich aber da jetzt keinen Metal-Masterplan für die nächsten zwei Jahre. Das wird sich wahrscheinlich eher alles organisch ergeben und nebenher bin ich ja auch noch Nico der Psychologe, Experte für Organisationspsychologie. Das wächst gerade alles ein bisschen mehr zusammen, aber ich glaube nicht, dass ich als Metal-Mensch meinen Lebensunterhalt bestreiten werde. Das sehe ich gerade noch nicht am Horizont.
(Janko)
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"Hard, Heavy & Happy" beim Heyne Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Hard-Heavy-und-Happy/Nico-Rose/Heyne/e598421.rhd
Nico Rose - Hard, Heavy & Happy
Heyne Verlag
Sachbuch
ISBN-13: 978-3-453-21829-1
368 Seiten
Paperback , Klappenbroschur
Erscheinungstermin: 14.06.2022
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